Karin Wieners
Politik- und Gesundheitswissenschaftlerin
„Häusliche Gewalt ist eines der subtilsten und zerstörensten Verbrechen. Die Gewalt findet an dem Ort statt an dem man sicher und geschützt sein möchte: im eigenen Zuhause. Und sie geht von der Person aus, von der man Zuneigung, Achtung, Respekt, Wertschätzung und Unterstützung erhofft: vom Partner oder Ehemann. Leben Kinder in der Partnerschaft, sind sie immer mitbetroffen. Sie sehen, hören, fühlen, spüren die Missachtung, die Erniedrigung, die offene körperliche und sexuelle Gewalt, sie fühlen sich ggf. schuldig, sie fühlen sich alleine, sie werden verunsichert und sie werden in ihrem Wohl und in ihren Entwicklungsmöglichkeiten ggf. nachhaltig geschädigt. Selten gibt es Zeugen für die Gewalt und selten wird darüber gesprochen. Gewalt in Ehe und Partnerschaft ist ein Thema, von dem scheinbar alle wissen – aus Medien, Zeitung, Nachbarschaft, der eigenen Familie – über das aber so gut wie niemand offen spricht. Und das heißt, dass die Betroffenen in viel zu vielen Fällen alleine bleiben mit dem was ihnen widerfährt, mit den widersprüchlichen Gefühlen und Gedanken die Gewalterfahrungen in der Partnerschaft meist auslösen und mit der Frage, wie es weitergehen kann.
Jede vierte bis fünfte Frau berichtet in Deutschland über körperliche oder sexuelle Gewalt durch einen Partner. Jede zweite berichtet über psychische Gewalt. Häusliche Gewalt ist kein „Sonder- oder Ausnahmefall“ – sie ist weit verbreitet und findet täglich in allen Gruppen dieser Gesellschaft statt.
Die Weltgesundheitsorganisation weist seit Jahren darauf hin, dass häusliche Gewalt weltweit eines der größten Gesundheitsrisiken für Frauen ist. Sie führt zu körperlichen Verletzungen, die so schwer sein können, dass dauerhafte Beeinträchtigungen entstehen. Sie steht in engem Zusammenhang mit einer Vielzahl psychosomatischer und psychischer Beschwerden – darunter vor allem Schlaf- und Konzentrationsstörungen, Depressionen, Ängsten, unerklärten Schmerzsyndromen, Magen-Darm- und Herz-Kreislauferkrankungen. Häusliche Gewalt macht krank, körperlich und psychisch – im schlimmsten Fall endet sie tödlich. Einrichtungen der Gesundheitsversorgung sind für Betroffene wichtige Anlaufstellen und es bestehen herausragende Möglichkeiten gezielt zu unterstützen und Wege in das Hilfenetz zu bahnen.
Wir müssen den Mut haben und lernen, über Gewalt in Beziehungen zu sprechen, darüber wo Grenzen bewusst und wiederholt missachtet, Respekt, Würde und grundlegende Rechte verletzt werden. Es ist wichtig, frühzeitig zu reden, zu zuhören, zu unterstützen. Nicht erst, wenn die Gewalt eskaliert und die Folgen für Frauen und für Kinder schwerwiegend sind.
Häusliche Gewalt verletzt grundlegende Menschenrechte. Die Gesellschaft, jede Berufsgruppe und jede/r Einzelne ist gefordert Position zu beziehen und Hilfe anzubieten.“
Karin Wieners
- Seit 1990 wissenschaftliche und praktische Beschäftigung mit Fragen der Menschen-, Frauen- und Kinderrechte
- Seit 2000 Auseinandersetzung mit gesundheitlichen Folgen sexualisierter und häuslicher Gewalt sowie Intervention und Unterstützung im Gesundheitsbereich
- Langjährige Mitarbeit in einem der Berliner Frauenhäuser, seit 2010 Mitarbeiterin der Koordinierungs- und Interventionsstelle zur Förderung der Intervention und Prävention in der Gesundheitsversorgung bei häuslicher und sexualisierter Gewalt, S.I.G.N.A.L. e.V.
- Fortbildungs- und Lehrtätigkeit für Mitarbeiter/innen und Auszubildende in sozialen und gesundheitlichen Berufen